03.03.2019

Lena, die Bruchpilotin I+II

„Musst du deinem Papa immer alles nachmachen?

Es war der 05.04.2017, ein sonniger Mittwoch kurz vor den Osterferien. Chemieunterricht war angesagt – ein Fach, was ich eigentlich gerne mochte. Eilig hatte ich es an diesem Morgen trotzdem nicht, denn es gab in diesem Kurs eine goldene Regel: Der Lehrer kam immer mindestens 10 Minuten zu spät und somit auch die Schüler, was Ersteren wenig interessierte. Ich – morgens sowieso immer am Trödeln, egal, wie viel Zeit ich hatte – schwang mich also um ungefähr zwanzig vor neun auf mein Fahrrad. Der Unterricht sollte um viertel vor beginnen und mein Weg dauerte mit dem Fahrrad ungefähr zehn Minuten. It’s all about the timing…

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Ungefähr nach der Hälfte der Strecke habe ich mein Fahrtempo dann doch angezogen, denn trotz allem bin ich nicht gerne unpünktlich. Und sogleich war es auch schon passiert: In einer Linkskurve, durch die ich natürlich viel zu schnell fuhr, hatte sich aus irgendeinem Grund Schotter angesammelt. Meine Reifen rutschten zur Seite, die Bremsen versagten und ich lag auf der Straße. Mit dem Gesicht in den Steinen.

Das nächste, was ich weiß, ist dass ich auf dem Asphalt saß und ungefähr fünf Leute um mich herumstanden. Mein Knie tat höllisch weh, mein Kopf pochte und ich fühlte Kieselsteine auf meiner Nase. Als ich versuchte, diese herauszuziehen, hatte ich Blut an den Fingern. Na toll. Zufällig kam auch einer meiner Klassenkameraden vorbei, der sofort einen Krankenwagen rief und mich wieder auf die Beine zog. Dort blieb ich aber nicht lange, denn mein Kreislauf war viel zu instabil und ich sah nichts als Sterne. Also wurde ich mit dem RTW in die Notaufnahme gefahren.

Angekommen in der Klinik standen erst mal vorsorgliche Untersuchungen und Röntgen an. Zum Glück konnte ich auch meine Mutter informieren, die sofort zum ins Krankenhaus kam, um mir die notwendige Krankenversicherungskarte und natürlich seelischen Beistand zu bringen. Meine Nase wurde gesäubert, was ziemlich unangenehm war – aber immerhin war sich mein Gesicht danach nicht mehr blutig und ich hatte ein sauberes, liebevoll zusammengeschnittenes Pflaster auf der Wunde. 

Da Verdacht auf einen Nasenbeinbruch sowie auf eine Gehirnerschütterung bestand, musste ich eine Nacht im Krankenhaus verbringen. In meinem Vierbettzimmer mit drei lieben, alten Damen, die eigentlich nichts machten außer Fernsehen zu schauen (die ganze Nacht lang!!) war mir so langweilig wie noch nie in meinem Leben. Zum Glück hatte ich wenigstens etwas Abwechslung: Besuch von meinen Eltern und meinen besten Freunden. Neben meiner verunglückten Nase war auch mein Knie aufgeschrabbt, trug aber zum Glück keine schlimmeren Schäden davon. Auch sonst war glücklicherweise nichts gebrochen – also durfte ich nach einer sehr kurzen Nacht, geprägt von einer Geräuschkulisse aus Fernsehen, Sturm und Schnarchen am nächsten Vormittag nach Hause gehen. Meine Mutter hätte mich sogar noch in die Schule zur Politikklausur geschickt – das konnte ich ihr aber ausreden. Stattdessen bekam ich ein neues Pflaster und einen Becher Eis. Was ein Service! 😊

Am Freitag ging ich aber wieder zum Unterricht und musste natürlich haufenweise Sprüche einstecken. Ziemlich passend, dass wir genau an diesem Tag für eine Projektarbeit für Englisch eine Filmszene gedreht haben, in der ich eine ermordete Person darstellen musste. Voller Einsatz!

Nach diesem Tag waren Osterferien. Meiner Nase ging es allmählich besser und ich sah nicht mehr ganz so gefährlich aus. Schön anzugucken war ich wahrscheinlich trotzdem noch nicht, vor allem für nervenschwächere Menschen. Am Sonntag ging es nach Magdeburg zu einem Probestudium im Bereich Psychologie. Auch dort durfte ich mir einiges anhören, von „Ist das echt?“ bis „Das ist bestimmt beim Saufen passiert!“ war alles dabei. (Man bemerke, ich war gerade einmal 15 Jahre alt!) Die Krönung folgt aber noch. Denn wie bei meinem Vater durfte ein zweiter Fahrradsturz natürlich nicht fehlen. 

Wir fuhren jeden Tag mit dem Fahrrad durch die Stadt zur Universität. Mein eigenes Radel hatte ich nicht dabei, aber ein Geliehenes reichte auch. Der Sattel war zwar zu hoch und die Bremsen sprangen nicht immer so an, wie ich das wollte, aber dabei dachte ich mir nichts. Tatsächlich waren diese Mängel auch nicht das, was schließlich zum Unfall führte. Den genauen Hergang kann ich gar nicht mehr richtig erklären. Ich blieb irgendwie in der Rille der U-Bahn hängen (zu meiner Verteidigung, das war mein erstes Mal Fahrradfahren in einer Großstadt!) und gleichzeitig bremste ein Auto vor mir ohne Vorwarnung. Ich bremste auch – und fiel über den Lenker auf die Straße. Instinktiv riss ich meinen linken Arm vor mein Gesicht, um nicht wieder auf die Nase zu fallen – wortwörtlich. Von dieser Rettungsaktion trug ich übrigens eine lang andauernde, nervige Muskelzerrung im Oberarm davon. Sonst war noch alles dran – nur mein gerade halbwegs wieder geheiltes Knie war wieder ordentlich am Bluten. Außerdem war mir unfassbar schwindelig. Also: RTW 2.0. Diesmal ins Magdeburger Universitätsklinikum. Dort war mein Aufenthalt aber deutlich kürzer: Nach einem kurzen Check und ein paar Fragen durfte ich schon wieder gehen. Anschließend habe ich meine Eltern angerufen, um ihnen von meinem zweiten Unglück zu erzählen. Die Reaktion: Ich wurde ausgelacht. Tja. Ich habe so fürsorgliche Eltern!

Es war aber auch wirklich zum Lachen. Bis auf die oben genannte Zerrung ist beim zweiten Sturz nichts passiert. Am gleichen Tag war ich schon wieder in einer Biopsychologie-Vorlesung. Und toi, toi, toi: Seitdem bin ich unfallfrei geblieben!

Jetzt, nach fast zwei Jahren, kann ich wirklich schmunzelnd auf diese Pechsträhne zurückblicken. Die verfluchte Kieselsteinkurve durchfahre ich seitdem nur noch mit beiden Händen am Lenker und in Schrittgeschwindigkeit und auf meiner Nase trage ich eine durchaus einzigartige Narbe, die mich immer an den 05.04.2017 erinnern wird.

Im Moment arbeite ich im Krankenhaus auf der unfallchirurgischen Station. Mal sehen, wann ich den nächsten Bruchpiloten behandeln muss – hoffentlich kommt er genauso glimpflich davon wie ich damals!

WORDPRESS: Lena die Bruchpilotin I+II