04.05.2011

Wieso benötige ich auf einmal Stützräder?

... oder was war nochmal eine „distale Radiusfraktur“?


1. Ostern steht vor der Tür

Der Mittwoch, 20.04.2011 ist ein wunderschöner Tag: Sommerwetter, beste Laune und Ostern und der nachfolgende Urlaub steht in den Startlöchern. Während der beschwingten Heimfahrt mit meinem Crossbike denke ich schon entspannt an die kommenden Tage. Gerade habe ich noch meiner Nachbarin Heike freundlich vom Rad zugewinkt, da werde ich in Höhe des Pyrmonter Schlosses auf einmal ziemlich unsanft aus meiner Träumerei gerissen.

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2. Nicht wieder die Schulter …

Ich merke, dass ich jeden Augenblick von meinem Fahrrad stürzen werde. Anscheinend bin ich auf dem Radweg in eine Bodensenke gefahren und das Vorderrad hat sich plötzlich um 90° gedreht als es abrupt die Bordsteinkante berührte. Während der nächsten Millisekunden dachte ich nur „nicht wieder die Schulter …“. Aber ehrlich gesagt, ist man doch während eines Sturzes doch nicht mehr in der Lage irgendetwas zu steuern. So schlage ich mit aller Wucht auf den sorgfältig mit kleinen Steinen verlegten Bürgersteig. Zunächst fluche ich, dann muss ich erst einmal sehen, wie ich mich aus dem verkeilten Crossbike herausschrauben kann. Ich merke, dass von meinem Kinn Blut auf den Weg tropft und mache folgende Bestandsaufnahme: Kinn aufgeschlagen, linke Hand abgeschürft, das linke Knie scheint was abbekommen zu haben. Das rechte Handgelenk schwillt an, es schmerzt auch ein wenig. Nun setze ich mich erst einmal hin, der herbeigeeilte Besitzer eines italienischen Restaurants bringt in Wasser getränkte Servietten zur Kühlung. Nach einer kurzen Pause setze ich meine Fahrt fort, zu Hause informiere ich telefonisch Elke von meinem Unfall und giesse erst einmal die Blumen in unserem Hausgarten.

3. Ab ins Krankenhaus

Am nächsten Morgen sieht es nicht viel besser aus, so dass wir uns entscheiden ins Pyrmonter Krankenhaus in die Notaufnahme zu fahren. Nach den ersten Prognosen der Pfleger bestätigt der Durchgangsarzt mit den Worten „Das ist KAPUTT!“ unsere Befürchtungen, dass mit der rechten Hand doch etwas mehr passiert ist. Leider nicht nur eine zunächst vermutete Verstauchung des Handgelenks. Sofort angefertigte Röntgenbilder zeigen den wahren Schaden an: Ich habe eine „distale Radiusfraktur“:

Schaubild einer distalen Radiusfraktur

Dabei handelt es sich um eine der häufigsten Frakturen überhaupt. Dabei sieht es bei mir eher wie auf dem unteren Bild aus. Das nun nachfolgende Prozedere erinnert mich dann an die Geschichte vor über 2 Jahren …

4. Friederikenstift III

Wieder ein Wegeunfall … Daher kann ich nicht im hiesiegen Krankenhaus operiert werden. Nach einer kurzen Beratung entscheide ich mich dann wieder für das Friederikenstift in Hannover. Dort wird u.a. rund um die Uhr gearbeitet und ich erwarte dort auch einen professionellen Umgang meiner Fraktur. Da heute Gründonnerstag ist, gibt es allerdings keine Arztsprechstunde, so dass ich mich über die Notaufnahme bzw. Ambulanz in Hannover anmelden muss. Vor dem Weg in die Klinik statte ich aber zunächst meiner Arbeitsstelle noch einen Besuch ab. Die meisten Kollegen sind geschockt, können es aber nicht lassen, passende Kommentare abzugeben … Zum Glück kann ein Kollege spontan für mich einspringen, sonst wäre es für meinen Arbeitgeber etwas blöd geworden. Dann machen wir uns auf den Weg.

Gegen 14 Uhr haben wir das Friederikenstift erreicht. „Haben Sie etwas Zeit mitgebracht?“ Letztendlich warten wir dann ca. 3 Stunden bis zum erlösenden Aufruf „Herr Frye bitte!“ Ich hatte während der Wartezeit meinen ersten richtigen Tiefpunkt weil mir da zum ersten Mal klar geworden ist, was eigentlich passiert ist und ich mich da natürlich auch ziemlich ärgere. Der nette Arzt informiert mich darüber, dass die Fraktur nicht sehr schlimm sei. Die haben das dort mindestens 1 x am Tag und ich soll noch am gleichen Tag um 19:30 Uhr operiert werden. Wenn es gut geht, ist nach 2-3 Tagen der Krankenhausaufenthalt wieder vorbei und ich könne nach Hause … wenn da nur nicht die „BG“ sprich die Berufsgenossenschaft wäre. Die behalten dann die Patienten wie mich auch gerne mal bis zu einer Woche. Aber egal, hauptsache es geht weiter … Nach einer Blutabnahme finde ich mich dann auf der Station Nord 1 wieder und liege zunächst allein auf dem Zimmer. Falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte: Ich habe seit ca. 7 Uhr nichts mehr getrunken oder gegessen. Im Laufe des Tages werde ich dann noch in ein anderes Zimmer auf der Station verfrachtet, da mein Zimmer für einen Patienten mit einer ansteckenden Krankheit benötigt wird. Dann liege ich ein paar Räume weiter neben einem leicht stöhnenden, aber nur englischsprachigen Zeitgenossen. Was mir auffällt, dass in einer Notaufnahme doch viel los ist: Permanent bringen Krankenwagen neue Patienten, auch ein Hubschrauber landet an diesem Tag. Das wird wohl auch der Grund sein warum kurz vor Mitternacht dann meine OP abgesagt wird. Ich habe ziemlich großen Durst. Als Belohnung für meine Wartezeit erhalte ich von der Nachtschwester dann Mineralwasser und einen Berg geschmierter Brote.

5. Operation geglückt – Patient lebt!

Karfreitag ist es dann soweit: Nüchtern werde ich um ca. 12 Uhr Richtung OP-Saal geschoben. Nun spüre ich zum ersten Mal so etwas wie Nervosität, aber ich fühle mich in guten Händen. Im Vorgespräch habe ich für eine sogenannte Regionalanästhesie entschieden. Im Gegensatz zu einer Vollnarkose wird „nur“ der Arm schulterabwärts betäubt. Dabei werden die schmerzleitenden Nervenfasern mit örtlichen Betäubungsmitteln ausgeschaltet. In meinem Fall handelt es sich um eine Armplexusanästheisie, genauer gesagt, es wird in der Achselhöhle betäubt („axilläre Plexusanästhesie“). Dazu sucht der Arzt mit einer an einem Nevenstimulator angeschlossenen Injektionsnadel die zu betäubenden Nerven auf. Je nachdem welche Nervenfaser getroffen wird, zucken die dazugehörigen Finger automatisch. Dabei musste ich genau angeben, wo ich ein Kribbeln verspüre bis alle Nervenfasern getroffen wurden. Zusätzlich werde ich danach in einem „Dämmerschlaf“ versetzt, so dass ich mich später nicht mehr an die Operation erinnern kann. Nach ca. 1 1/2 Stunden werde ich wieder wach und stelle fest, dass ich nichts mitbekommen habe. Im Gegensatz zu einer Vollnarkose kann ich sofort was essen und trinken und muss zudem nicht 1-2 Stunden im Aufwachraum unter Beobachtung verbringen. 2 Stunden später erkundigt sich der operierende Arzt nach meinem Befinden und ist soweit zufrieden. Operation geglückt!

Röntgenbild meiner wertvollen Titan-Platte

6. Langeweile …

Feiertagsbedingt passiert die nächsten beiden Tage nicht viel. Aber das Essen ist lecker und der Tag beginnt meist erst zwischen 7:30 Uhr und 8:00 Uhr. Am Montag kommt dann das Pflaster von der OP-Wunde, sieht aber ganz gut aus. Keine Entzündung oder ähnliches. Der Arm ist insgesamt etwas geschwollen, aber auch das ist wohl normal. Im Laufe des Tages kommt dann auch noch die Physiotherapeutin vorbei um meine Lymphen zum Abfluss der überschüssigen Flüssigkeit zu bewegen. Falls ich aufstehe, dann nur mit aufrechter, steil nach oben zeigender Hand. Na denn, wenn es hilft … Bis Montag abend bin ich dann allein im schmucken Zimmer, es hat schon fast Hotelcharakter. Mein neuer Bettnachbar erzählt mir dann erst einmal ganz ausführlich seine Leidensgeschichte, letztendlich soll er am nächsten Tag an der Schulter operiert werden. Da kann ich auch meinen Beitrag aus meiner eigenen Erfahrung leisten … Trotzdem bekomme ich langsam einen Lagerkoller im ach so weit entfernten Hannover und zähle die Tage bis zum Ende des Klinikaufenthalts. Am Mittwoch werde ich dann gefragt, ob ich nicht als „Versuchskaninchen“ für einige Kursteilnehmer  zum Thema „Manuelle Lymphdrainagen“ sein möchte. Zu 1 1/2 Stunden Abwechselung sage ich doch nicht „Nein“. Bei der Chefarzt-Visite (urlaubsbedingt allerdings ohne Chefarzt) konnte ich den verantwortlichem Oberarzt davon überzeugen, am nächsten Tag entlassen zu werden. JUBEL!!! Insgesamt bleibe ich also eine geschlagene Woche dort.

7. Wieder zu Hause

Ein schönes Gefühl wieder in der gewohnten Umgebung zu sein. Zunächst werde ich noch verwöhnt und bedient, später versuche ich mich aber auch wieder unterstützend im Rahmen der Möglichkeiten in die Familie einzubringen. Am gleichen Tag vereinbare ich gleich Termine in der M&I-Klinik für Krankengymnastik, Lymphdrainagen und Medizinischen Trainings (MTT). Freitag nachmittag bin ich dann pünktlich bei meinem Durchgangsarzt. Er ist soweit einverstanden mit der an mir durchgeführen Operation (siehe 5.). Anstatt MTT verschreibt er mir allerdings Ergotherapie, welche für mich zunächst erstmal besser sei. Ok, ich bin einverstanden. Nach 12 Tagen sollen dann die Fäden gezogen werden. Das Handgelenk ist noch immer sichtbar geschwollen. Trotzdem kein Vergleich mit der Oberarmfraktur. Ich fühle mich weitaus weniger eingeschränkt, ich kann mich schon alleine anziehen und das Handgelenk bis zur Schmerzgrenze bewegen. Das ist doch schon mal etwas. Auch Essen kann ich selbstständig, somit erst einmal alles zufriedenstellend … Da das Wetter nach wie vor frühsommerlich ist, wird meine Laune täglich besser.

8. Gärtner werden bestellt

Wie sich doch der Hausgarten in einer Woche verändert. Fast schon eine „grüne Hölle“ ist seit meinem Unfall entstanden. Da ich selbst nichts machen kann bzw. darf, müssen nun Gärtner beschäftigt werden. Meine Nichte aus der Groß- und Weltstadt München möchte unbedingt Rasen bei uns mähen. Sie ist gerade bei meinen Eltern zu Besuch und scheint Freude daran zu haben – von mir aus kein Problem! Mein Vater ist hier eine sehr große Hilfe. Meine Aufgaben im Garten werden prompt und zur vollsten Zufriedenheit erledigt. Da bin ich sehr froh und dankbar darüber. Auch meine Frau pflanzt wie ein „alter Hase“ schöne Sommerpflanzen. Auch als für ein paar Tage Frost droht, werden die empfindlichen Pflanzen von ihr in Sicherheit gebracht. Da es tagsüber warm und windig ist, muss der gesamte Garten ständig bewässert werden. Dieses wird von meinem Umfeld ganz prima erledigt. An dieser Stelle ganz herzlichen Dank an alle Helfer! Aber es fällt schon schwer, nicht selbst mitzuwirken – das gebe ich allerdings zu …

9. Zurück in den Alltag

Nach 4 Wochen darf ich dann langsam durchstarten. Ich kehre wieder auf meinen Arbeitsplatz zurück. Eigentlich eine willkommene Abwechslung und ich fühle mich wieder ernst genommen und gebraucht. 3 x in der Woche fahre ich während der Arbeitszeit zur Therapie. Aber ich stelle fest, dass ich schon manchmal vergesse, dass ich an der rechten Hand operiert wurde. Trotzdem erwische ich mich ab und zu, dass ich ungeduldig werde. Geht es nun doch nicht schnell genug? Meine Heilungschancen stehen doch im Prinzip sehr gut. In dieser Sinnkrise erklärt mir bei meinem wöchtenlichen Routinebesuch mein Durchgangsarzt, dass doch „noch mehr gehen muss“. „Einen schönen Gruß“ soll ich meinen Therapeuten übermitteln mit der Bitte mich „noch mehr ranzunehmen“. Ob ich seinen Kommentar „Also wenn ich die OP gemacht hätte, dann sehe es schon viel besser aus!“ nun ernst nehmen soll oder nicht, weiss ich ehrlich gesagt nicht. Sei’s drum, ich versuche mich nun auch wieder an der Gartenarbeit, ich finde, eine sehr gute Ergotherapie (ergon = griechisch für Arbeit, Behandlung, Beschäftigung …) und Training für mein lädiertes Handgelenk.
Übrigens: Die Sprüche meiner Arbeitskollegen verstummen langsam …

10. Entspannte Tage

Als Belohnung sehe ich neben meinem neuen „Messi“-Trikot auch die schönen 4 Urlaubstage an der Ostsee in Pelzerhaken über Himmelfahrt Anfang Juni. Wieder einmal tolles Wetter mit netter Umgebung und schöner Ferienwohnung. Wer einmal entspannte Urlaubstage am Meer verbringen möchte, ist dieser Ort ein toller Tipp.

Entspannend: Blick auf die Promenade von Pelzerhaken

Die Autofahrt habe ich als Fahrer von 4 Frauen („meine“ 3 und Schwiegermutter) trotz Stau sehr gut überstanden. Den ersten Dauertest hat meine Titan-Platte gut überstanden. Herrlich, einfach mal abzuschalten.

11. Und weiter?

Eigentlich ist nun der spannende Teil des Blogs vorbei. Trotzdem finde ich es sehr angenehm, dass ich 80% des Tages nicht mehr an den Unfall und die Folgen denke. Im Alltag ist die Hand nahezu vollständig wieder einsetzbar. Ich bin auch schon wieder ein paar kleine Runden mit dem wieder reparierten Fahrrad gefahren. Hier möchte ich mich ganz herzlich bei meinem langjährigen Weggefährten Matthias bedanken, der mein Crossbike wieder schnell fahrbereit gemacht hat. Die immer noch durchgeführten Therapien an meiner Hand sorgen dafür, dass die Einschränkungen immer weniger werden. Die Narbe sieht relativ gut aus, auch wenn das Gewebe darunter noch etwas hart und hinderlich ist. Aber alle Fachleute meinen, dass es wieder 100% gut wird.

12. Nachtrag

Nach gründlicher Untersuchung wurde nach einigen Monaten ein Gutachten erstellt. Dieses zeigte leider eine gewisse Einschränkung meines rechten Handgelenks, die allerdings im Alltag nicht auffallen wird. Nur Handstand wird nicht mehr so einfach möglich sein. Das kann ich aber ganz gut kompensieren.


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